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Die Erforschung der psychotropen Phänomene von qualitativ bewusstseinsverändernden Substanzen sowie ihrer möglichen therapeutischen Anwendung in Psychiatrie und Psychotherapie kann im deutschsprachigen Raum auf eine lange Tradition zurückblicken.

Louis Lewin und Arthur Heffter beschäftigten sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich mit Meskalin (Lewin 1887, Heffter 1896). Vor knapp 100 Jahren betonte Louis Lewin  in seinem Werk „Phantastica – Die betäubenden und erregenden Genussmittel“. Für Ärzte und Nichtärzte (1924): „Für die Gehirnphysiologie, die experimentelle Psychologie und die Psychiatrie schafft dieses Anhalonium [Anm. d. Autors: Meskalin] für lange Zeit Arbeitsstoff.“

Kurt Beringer und andere Kollegen, wie Willy Mayer-Gross und Hans Bensheim, sahen in den 1920er Jahren im Meskalinrausch, wie auch unter dem Einfluss anderer Substanzen, vor allem die Möglichkeit, psychopathologische Zustände in Selbsterfahrung, als sogenannte Modellpsychose, zu erforschen. Sie eröffneten damit eine neue Dimension der vermuteten Einfühlbarkeit in Menschen mit psychotischen Störungen, wie zum Beispiel der Schizophrenie. Die an der Universität Heidelberg durchgeführten und u.a. in Beringers Habilitationsschrift „Der Meskalinrausch“ (1927) kulminierenden Arbeiten können als erstes größeres psychiatrisches Werk in dem Themengebiet angesehen werden. In den 1920er und 30er Jahren wurden in Deutschland – insbesondere in Heidelberg, Tübingen, Leipzig, Berlin und Freiburg – vor allem phänomenologische Untersuchungen mit Meskalin an gesunden Probanden und Menschen mit Schizophrenie durchgeführt, um psychotisches Erleben besser zu verstehen.

Einen besonderen Schub für die wissenschaftliche Evaluation von entsprechenden Substanzen erlebte die Entwicklung des LSDs (Lysergsäure-Diäthyl-Amid) durch Albert Hoffmann 1938 in Basel, welcher dessen psychotrope Wirkung 1943 eher akzidentell entdeckte (Hoffmann 1979). Arthur Stoll führte noch Ende der 1940er Jahre an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, dem sogenannten Burghölzli, die ersten klinischen Studien vor allem an gesunden Probanden für eine psychophänomenologische Charakterisierung, aber auch mit schizophrenen Patienten durch (Stoll 1947).

In den 1950er und 60er Jahren folgten weltweite breite Untersuchungen nach damaligen wissenschaftlichen Standards mit dem Ziel der Evaluation einer therapeutischen Nutzung der psychologischen Effekte des LSD bei verschiedenen psychiatrischen Indikationen wie Depressionen, neurotischen Störungen und Alkoholabhängigkeit. Hauptprotagonist der „psycholytischen Therapie“ in Deutschland war Hanscarl Leuner, Psychiater und Psychoanalytiker an der Universität Göttingen, welcher die adjuvante Gabe von LSD im Rahmen von Psychoanalysen einsetzte, um psychodynamische Prozesse zu fördern (Leuner 1981). Neben der wissenschaftlichen Untersuchung gab es auch eine breite klinische Anwendung in der Regel im kontrollierten Rahmen.

Parallel wurde auch das vergleichbar wirkende Psilocybin eingesetzt, welches in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre in der wissenschaftlichen Welt bekannt und insbesondere in den 1960er Jahren als Alternative zum LSD im klinischen Kontext verwendet und erprobt wurde (Rucker et al. 2018).

Das bereits 1912 in Deutschland synthetisierte und in den USA während der 1940er und 50er Jahre als „Wahrheitsdroge“ auch geheimdienstlich missbräuchlich eingesetzte Metyhldesoxy-N-Methylamin (MDMA) (Passie 2018) fand ab den 1970er Jahren neben anderen Stoffen der Substanzklasse Eingang in den klinischen Gebrauch und wurde 1986 von Nichols als „Entaktogen“ (d.h. die Wahrnehmung der eigenen Gefühle intensivierend) benannt (Nichols 1986). Es wurde dann aber ebenfalls verboten und erst später wieder näher wissenschaftlich auf ein therapeutisches Potenzial hin untersucht (Passie und Benzenhöfer 2018).

Der zunehmende Missbrauch außerhalb des klinischen Einsatzes und die Entwicklung der gesamten Drogenpolitik führte letztlich in den 1970er und 80er Jahren zu einem Verbot des Einsatzes und zu einem weitestgehenden Erliegen wissenschaftlicher Untersuchungen mit Psychedelika. Nur wenige klinische Anwendungen waren unter Spezialbewilligungen für wenige Jahre weiterhin möglich, wie z.B. in der Schweiz durch die Schweizerische Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie (SÄPT) von 1988-1993 (Gasser 1996).

In den 1990ern und anfangs der 2000er Jahre gab es nur vereinzelte Studien unter strengen Auflagen in dem Feld. Allerdings wurden die neurobiologischen Korrelate der Wirkung der Substanzen zunehmend mittels neurowissenschaftlicher z.B. bildgebender Methoden untersucht (Vollenweider und Kometer 2010). Erst seit den letzten wenigen Jahren gibt es im deutschsprachigen Raum wieder einen Anstieg an wissenschaftlicher Evaluation und Erforschung des klinischen Einsatzes von vor allem Psilocybin mit den Indikationen Depressionen (Gründer et al. 2022; Mertens et al., 2022) und Alkoholabhängigkeit (Bogenschutz et al. 2015, 2022). International wird zudem MDMA bei posttraumatischen Belastungsstörungen (posttraumatic stress disorder, PTSD) (Mithoefer et al. 2013, Mitchell et al. 2021) und weiteren Abhängigkeits- und auch Zwangserkrankungen geprüft (Majic et al. 2017).

Auch die qualitativ bewusstseinsverändernden Aspekte weiterer Substanzen werden für den klinischen Gebrauch untersucht. Während Ketamin zunächst vor allem mit einem pharmakologischen Ansatz bei Depressionen eingesetzt wurde (Sanacora et al. 2017) und in dieser Anwendung mit gewissen Einschränkungen auch als Esketamin im Jahr 2021 in Deutschland zugelassen wurde, werden die Erfahrungen unter dem Einfluss der Substanz mittlerweile auch für einen psychotherapeutischen Ansatz genutzt (Dore et al. 2019). Zudem wird auch die mögliche therapeutische Wirkung von Ayahuasca untersucht (Palhano-Fontes et al. 2021).

 

Angelehnt an: Herwig et al. 2023, Fortschritte Neurologie Psychiatrie; Zitate auf Anfrage