Ein etabliertes und abgerundetes Modell der Wirkweise von Psychedelika liegt bisher nicht vor. Es gibt ein Spektrum von Erklärungsansätzen, aber keine überprüften Wirkalgorithmen bzw. keine pathophysiologisch oder psychodynamisch abgestützten und damit proaktiv berechenbaren Wirkmechanismen. Allerdings gibt es einige Hypothesen, welche in der Folge kurz dargestellt werden sollen.
Ein recht naheliegendes Wirkmodell bezieht sich auf die hauptsächlich pharmakologischen bzw. neurochemischen Wirkungen der einzelnen Substanzen. Dieses besagt, dass durch die chemischen Eigenschaften der Substanz selbst, also z.B. die Bindung an bestimmte serotonerge Rezeptoren, eine erwünschte, z.B. antidepressive Wirkung entfaltet wird. Die bewusstseinsverändernden Aspekte würden hiernach keine wesentliche Rolle spielen. Das Erklärungsmodell knüpft an die pharmakologische Wirkung von klassischen Antidepressiva an, welche ähnlich wie die meisten Psychedelika serotonerge Eigenschaften aufweisen. Im Fall der Psychedelika würde dann eine intensive serotonerge Stimulation einen beispielsweise antidepressiven Effekt anstossen. Allerdings ist auf psychopharmakologischer Ebene grundsätzlich anzumerken, dass die Gabe von Psychedelika vereinzelt erfolgt, also einmalige oder auch wiederholte Gaben mit Pausen von mindestens mehreren Tagen, in der Regel mehrere Wochen oder Monate. In der Zwischenzeit findet in der Regel eine psychotherapeutische Integration der subjektiven Erfahrung, also der inhaltlichen psychotherapeutischen Verarbeitung der Erfahrung mit bewusster Aufnahme in ein Selbstkonzept statt. Dies legt weniger eine überdauernd rein psychopharmakologische, als eher eine komplexe pharmakologisch angestoßene psychologisch-psychotherapeutische Wirkung nahe.
Auf neurobiologischer Ebene sprechen Befunde von gesunden Probanden unter anderem für einen Einfluss der Psychedelika auf die Amygdala-Aktivität und Konnektivität (Krähenmann et al. 2015, Müller et al. 2017, Mertens et al. 2020), auf thalamische Filteraktivität (Müller et al. 2017, 2018, Vollenweider und Preller 2020) wie auch auf selbst-referenzielle Hirnregionen (Carhart-Harris et al. 2012, 2016). Beispielsweise wurde für das „Default mode network“ während des Psyilocybin- oder auch Ayahuasca-Einflusses (Pantheno-Fontes et al. 2015) von einer reduzierten Konnektivität zwischen präfrontalen Regionen, welche in kognitive Kontrolle eingebunden sind, und basaleren wie auch phylogenetisch älteren Regionen wie posteriores Cingulum und Amygdalae, welche mit selbst-referenzieller und Emotionsverarbeitung assoziiert sind, berichtet (Smigielski et al. 2019). Hieraus könnte abgeleitet werden, dass letztere Regionen autonomer arbeiten können und möglicherweise im Sinne einer Disinhibition Zugriff auf Inhalte besteht, welche sonst von ontogenetisch geprägten bzw. erlernten Kontrollmechanismen eingeschränkt sind. Carhart-Harris (2019) beschreibt dies als eine neurobiologisch induzierte Auflockerung von Grundüberzeugungen mit der Möglichkeit, diese zu hinterfragen. Dies entspricht aber bereits einem spekulativeren, deduktiven Bereich, wobei die Erläuterungen auch einer reversen Inferenz unterliegen können. Nichtsdestotrotz bieten diese Befunde nicht nur Ansätze für eine Verknüpfung neurobiologischer und psychodynamischer Informationsverarbeitung sondern auch Indizien und Grundlagen für Arbeitshypothesen zur Wirkweise der Psychedelika.
Aus psychologischer wie psychotherapeutischer Perspektive wurde bereits früh postuliert und beschrieben, dass Einsichten und Erkenntnisse unter diesem Einfluss sich in den Alltag transferieren und potenziell für psychotherapeutische Vorgänge nutzbar machen lassen (Reiff et al. 2020, Preller und Vollenweider 2020). Unter dem Einfluss von Psychedelika könnten biografisch geprägte, auch rigide psychodynamische Automatismen umgangen werden und dafür eine präverbale, mit anderen Wahrnehmungs- und Erfahrungsdomänen assoziierte Informationsverarbeitungen in den Vordergrund rücken, welche auch zu einer anderen Betrachtungsweise und zu anderem Bedeutungserleben von mentalen Konflikten mit vielleicht anderen Lösungen führt. So könnten Psychedelika auch eine Vermeidung umgehende Auseinandersetzung mit bestimmten Konfliktfeldern oder Traumata unterstützen, mit korrigierenden Neuerfahrungen einhergehen und zu einer akzeptierenden oder lösungsorientierten Haltung wie auch einer autobiographischen Integration führen (u.a. Wolff et al. 2020). Dies könnte mittelfristig zu einer Betonung von Aspekten der Positiven Psychologie führen (Jungaberle et al. 2018), wenn auch langfristige positive wie auch potenziell negative Entwicklungen noch genauer zu beobachten sind. Davis et al. (2020) beschrieben eine erhöhte kognitive Flexibilität basierend auf Einsicht und Bedeutungsbewusstsein unter Psychedelika und führten diese auf erweiterte Assoziationen und reduzierte dysfunktionale Filter zurück, wie auch auf ein Übersteuern von kognitiven Fixierungen und Durchbrechen rigider Denkmuster. Letztlich aber sind die möglichen Auswirkungen von Psychedelika auf psychotherapeutische Prozesse bisher noch wenig ausdifferenziert und insbesondere kaum gezielt steuerbar.
Als Kernaspekte eines möglichen psychotherapeutischen Prozesses gelten die inhaltliche psychotherapeutische Vorbereitung des Patienten mit konkreter Zielsetzung bzw. Themendefinition, die Sitzung selbst und die anschließende Integration des Erlebten. Für die akute Wirkung in der Substanzsitzung sind die Vorbedingungen, mit welchen die betreffenden Patienten kommen, also z.B. Intention, Einstellung, Biographie – Set – sowie Substanz und Dosierung, das nach Möglichkeit angenehm und eher wohnlich gestaltete Umfeld – Setting – und insbesondere auch die Therapeutenvariable, also die persönliche Begleitung des Patienten während der Sitzung zu berücksichtigen. Neben der historisch eingesetzten Augmentation psychoanalytischer Prozesse liegen bisher nur wenige formalisierte Therapiemanuale vor, welche die psychedelische Behandlung in etablierte Psychotherapiemodule einbetten (Guss et al. 2020). Zudem sind diese noch nicht vertieft evaluiert und etabliert, wie auch noch nicht gegenüber der Einbettung in andere Psychotherapieformen geprüft. Entsprechend müssen psychotherapeutische Module mit psychedelisch augmentierter Psychotherapie noch gezielt auf ihre Wirksamkeit geprüft und weiterentwickelt sowie wissenschaftlich auf die verschiedenen Indikationen hin differenziert werden.
Angelehnt an: Herwig et al. 2023, Fortschritte Neurologie Psychiatrie; Zitate auf Anfrage